Mittwoch, 19. Oktober 2016

Sterne


Ein erlebnisreiches Wochenende neigte sich dem Ende zu.
Wir saßen im Warung, guckten uns die Fotos des heutigen Tages an und ließen dieses atemberaubende Wochenende Revue passieren, während jede von uns mindestens einmal betonte wie unendlich glücklich wir grade sind. Da fiel Viivi auf, dass es hier viel ruhiger ist als in Ubud. Der Verkehr war trotz einer großen Zeremonie mit dem in Ubud nicht zu vergleichen, Hupen hörte man niemanden und außer an der abenteuerlichen Brücke zwischem Lembongan und Ceningan gab es keinen Stau. Diese Brücke hatten wir grade erst überquert und "lebensgefährlich" trifft es am besten. Fünf Minuten später hörte man dann doch einige Meter weiter lautes Hupen. Sie feiern wohl ihre Zeremonie dachten wir uns, es muss ein großes Fest für das Meer sein, denn wo sonst wie an keinem anderen Ort geschwommen, getaucht und geschnorchelt wird, war es am heutigen Tag untersagt. Als dann eine Viertelstunde später zwei Notarztwagen an unserem Tisch vorbei fuhren, gingen wir davon aus, dass bei dieser Feier etwas passiert sein muss. Da es nur zwei recht kleine Wagen waren, konnte es aber nicht so schlimm sein. Zurück im Homestay trafen wir auf die Familie und erhielten die schockierende Nachricht. Die Brücke ist eingestürzt. 

Am Abend des Sonntags, dem 16. Oktober 2016 verloren 28 Menschen, darunter einige Kinder, das Leben. Fünf weitere befinden sich in Lebensgefahr. Die Zahl der Verletzten liegt bei 48. Vielleicht scheinen die Sterne heute Abend für sie. 

Die Nachrichten berichten überall etwas anderes, ich sage das, was Kelly gestern Abend auf der Brücke gesagt bekam.

Dieser Ort ist für mich ein Paradies, dieser Abend hat mir aber einmal mehr vor Augen geführt, dass das hier noch immer die Welt ist. Die Kugel, auf der sich Leute in teuren Autos über Autobahnbaustellen aufregen, während auf der anderen Seite Brücken über dem Meer einstürzen, weil kein Geld da ist für eine Baustelle. 

Dieser Unfall geht mir nahe. Zum einen, weil er 300 Meter weiter passiert ist und weil ich diese Brücke 90 Minuten vorher mit dem Scooter nichtsahnend überquert habe. Diesen Zustand habe ich eben als normal aufgenommen, er hat mich ehrlich nicht überrascht. Zum einen, weil ich die Tränen der Erleichterung unserer Familie des Homestays gesehen habe, deren Familienmitglieder alle heile und unverletzt einige Minuten vorher die Brücke überquert hatten. Zum anderen, weil eben unsere Nachbarin weinend am Telefon meine Wasserflasche kassierte. Sie entschuldigte sich dafür, denn in Bali verliert man an Gesicht, wenn man in der Öffentlichkeit starke Emotionen zeigt. Ich antwortete, sie solle sich nicht entschuldigen, ich wüsste was passiert sei. Dann fragte ich nach Zögern doch vorsichtig nach und bekam als Antwort ein leises "My brother". Und in diesem Moment war es plötzlich vollkommen egal, wer Tourist ist und wer Einheimischer. Ich habe sie in den Arm genommen und da standen wir für eine Minute zusammen in einer kleinen Hütte mit Stromausfall, Snacks und Meeresrauschen. Ich werde diese Frau und diesen Moment nie vergessen. Es sind die kleinen Dinge auf Reisen, die kein Foto festhält, die eine Reise erst zu einer Reise machen.

Moralapostel: Lasst uns mal nicht mehr über den Baustellenstau beschweren, auch nicht bei Regen und auch nicht im Herbst. Schönes Lied anschalten, dem Scheibenwischer zugucken und nachdenken, wie gut es uns geht.

Fertig apostelt. Mit Wellenrauschen versuche ich einzuschlafen. Gute Nacht, ANNA. 

Update: Nach einer Stunde schlaf, in der ich nach einer endlosen Nacht voller Gedanken den Sonnenaufgang verpasst habe, muss ich mich ausnahmesweise zwingen, zurück zu Ubud zu fahren und in die Schule zu gehen. So geht es uns allen, denke ich. Heute morgen startet die Insel ein weitere Suchaktion. Es werden also noch immer Leute vermisst. Doch das Leben dort geht weiter und es wird wieder gearbeitet, wenn heute auch ein bisschen leiser, trauriger und nachdenklicher. 


Drei Tage sind vergangen. Noch immer wird mein Herz ein bisschen schwerer, wenn ich daran denke.





Wenn ihr aus der Ferne ausgerechnet an diesen Metern Erde helfen möchtet, spendet hier:
 https://www.gofundme.com/yellowbridge?ssid=773374547&pos=1



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen