Dienstag, 4. Oktober 2016

Arm und Reich und Lüge und/in Frieden

Ich bin auf dem Weg zu den Reisfeldern Ubuds krank geworden. Beim Aufbruch war noch alles gut, doch als wir grade die Scooter geparkt hatten, bin ich zur nächsten Treppe gestolpert und die Gliederschmerzen haben begonnen.
Wir waren grade dabei zu sortieren, ob meine Bettwanzenbisse oder meine ungefähr 20  Flohstiche die Ursache sein könnten, als einer der vielen Taxifahrer auf uns zu kam.

 *Taxifahrer müssen in Indonesien wie alle anderen auch, viel Geld bezahlen um sich für eine Arbeitsstelle nur bewerben zu können. Daher bringen sie dich zwar meistens sicher zu deinem Reiseort, aber sie verlangen viel zu viel Geld dafür. Das wusste ich aber schon vor meiner Ankunft und kenne Taxistellen bei denen man einen gerechten Preis zahlt.*

Er sagte uns, er würde sehen, dass es mir schlecht gehe (ich war kreidebleich), ob ich einen schlechten Tag hätte und ob er uns helfen könnte. Wir verneinten seine Hilfe freundlich, doch er kam ein zweites Mal mit einem kleinen Fläschchen in der Hand. Dem Aufdruck konnte ich entnehmen, dass es ein Naturheilprodukt war. Obwohl ich nicht an dessen Wirkung glaubte, nahm ich es an. Da es komplett neu war, fragte ich, ob ich dafür bezahlen müsse. Daraufhin grinste er und erklärte in gebrochenem Englisch und balininesischem Akzent, dass ich ihm leid tue und er mir nur helfen möchte.

Er fragte noch woher wir kommen und wie alt wir sind. Als er hörte, dass ich 18 bin und um die halbe Welt fliege, sagte er, ich solle mich mit seiner Hilfe gut aufgehoben fühlen. Ich wusste, dass die Menschen hier auf Bali so nett sein sollen, aber das hat mich mehr berührt als ich dachte. Er würde auch gerne reisen, erzählte er, doch sein Geld, was er mit dem Taxi verdient, reiche für den nächsten Tag. Was übrig bleibt muss er sparen, um sich bewerben zu können. Bewerben für welchen Job? Vielleicht Kellner, antwortete er.

In diesem Moment bestätigte sich mein Gefühl, das ich mich schon seit ein paar Tagen begleitet hatte, in seiner Richtigkeit. Ich habe alle finanziellen Mittel und Unterstützung mit 18 um die Welt zu fliegen, in eine andere Kultur einzutauchen, meine bisherigen Ansichten infrage zu stellen und meinen Horizont zu erweitern. Und ich mache das in Bali, einer Insel, auf der ein großer Anteil der Bevölkerung von einem Abendessen im Warung nur träumen kann.

*Warung: Wie ein balinesischer Imbiss, nur mit balinesischen, relativ gesunden Gerichten für umgerechnet ~ 2 Euro pro Hauptspeise) -mein tägliches Abendessen*

Zurück zum Taxifahrer. Der steht nämlich immer da, wenn er nicht schläft oder fährt, zwischen seiner Konkurrenz. Schon oft habe ich mich gewundert wie viele oder wenige Touristen täglich zwischen hunderten von Taxifahrern ausgerechnet ihn auswählen. Er steht also da, hält Passanten sein Schild "Taxi? driwer can speak English." unter die Nase und hätte doch allen Grund sich über sein Leben zu beschweren. Was sagt er zu uns? "I'm happy for you." Ohne den Gedanken, an uns Geld zu verdienen, denn sein Schild hielt er verkehrt herum als er mit uns sprach.

Ein langes P.S.(S.S.S.....)

Ich möchte mit diesen Texten nicht den Anschein erwecken, hier sei neben Touristen alles arm und friedlich. Diese Insel kommt im Allgemeinen meiner Vorstellung von Frieden sehr nahe, doch auch dieser hat seine Schattenseiten.

Schon Kinder lernen, in einem System, in dem Korruption offensichtlicher nicht sein kann, klar zu kommen. In der Schule können sie gegen ein bisschen Taschengeld für den Lehrer gute Noten kaufen; In Supermärkten muss man darauf achten, die richtige Menge Wechselgeld zu bekommen und selbst die Polizei hält Touristen an, um sich ein paar Scheine dazu zu verdienen. Eben weil man zum Beispiel zahlen muss, nur, um sich zu bewerben. Die Kinder in meiner Schule kommen auch aus höheren Klassen der hinduistischen Gesellschaft und können sich zum Teil teure Kleidung leisten. Die bettelnden Mütter mit Babys und Kleinkindern auf dem Bordstein sitzend sind zu diesen Kindern ein extremer Kontrast.

Auch diese so friedvolle Kultur hat viele Verlierer, dennoch besteht sie nicht nur aus ihnen. Deswegen sind die Medaille dieser Kultur und ihre Kehrseite gleichermaßen vertreten, auch wenn die Medaille von vorne vielleicht ein bisschen sichtbarer ist.

Ein Tagesmarsch durch die Reisfelder wird nachgeholt. Fotos folgen.

Liebe Grüße, ANNA

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen